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Die Internationale Gustav Mahler Gesellschaft (IGMG)
Die Gründung der Gesellschaft und die Präsidentschaft von Erwin Ratz
Die Initiative zur Gründung der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft (IGMG) im für die österreichische Nachkriegsgeschichte bedeutsamen Jahr 1955 ging entscheidend von den Wiener Philharmonikern aus. Wenngleich sich dieses Orchester in der Nazi-Zeit keineswegs frei von antisemitischen Aktivitäten verhalten hatte, war sein Engagement für die Gründung der IGMG von entscheidender Bedeutung für die spätere internationale Durchsetzung von Mahlers Musik. Die Auseinandersetzung mit Mahlers Schaffen war auch zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kontrovers und weiterhin keineswegs frei von antisemitischen Ressentiments. Nur wenige international renommierte Orchester und Dirigenten setzten sich für sein Werk ein und die Zahl der Aufführungen seiner Werke war überschaubar, eine Situation, die bis weit in die 1960er Jahre anhielt.
Bereits am 3. Juni 1945, weniger als vier Wochen nach Kriegsende, führten die Philharmoniker Mahlers Erste Symphonie unter der Leitung von Robert Fanta auf und übernahmen daneben die Kosten für die Pflege von Mahlers Grab am Grinzinger Friedhof. Im Mai 1954 baten sie Bruno Walter die Präsidentschaft einer zu gründenden Mahler-Gesellschaft zu übernehmen. Walter antwortete zwar prinzipiell positiv, schlug aber vor, zunächst eine diesbezügliche Anfrage an Gustav Mahlers Witwe Alma Mahler zu richten. Alma Mahlers Schreiben an den Vorstand der Wiener Philharmoniker Hermann Obermeyer war allerdings ernüchternd. Sie warf sowohl dem Orchester als auch der Republik Österreich ein verwerfliches Verhalten gegenüber Mahler und ihr vor und lehnte jegliche Mitwirkung an einer Mahler-Gesellschaft ab. Dennoch ließen sich die Philharmoniker von ihrem Engagement nicht abbringen. Letztlich änderte Alma Mahler ihre Haltung und förderte die IGMG in vielfältiger Weise, vor allem durch die Zusage, alle in ihrem Besitz befindlichen Manuskripte Mahlers für eine Mikroverfilmung zur Verfügung zu stellen, eine wesentliche Voraussetzung für die Erstellung einer Kritischen Gesamtausgabe.
Keine Musik ist etwas wert, von der man dem Hörer zuerst berichten muß, was darin erlebt ist, was er zu erleben hat. Man muß Ohren und ein Herz mitbringen und - nicht zuletzt - sich willig dem Rhapsoden hingeben. Ein Rest Mysterium bleibt immer - selbst für den Schöpfer.
- Gustav Mahler
Das Jubiläumsjahr 1960 und die Folgewirkungen
Fraglos bildete dieses Jahr einen entscheidenden Wendepunkt in der bis dahin eher verhaltenen Mahler-Rezeption, und dies in mehrfacher Weise. In wissenschaftlicher Hinsicht kommt vor allem Theodor W. Adornos 1960 erschienener Monographie Mahler. Eine musikalische Physiognomik, nach wie vor ein Grundlagenwerk der Mahlerforschung, hohe Bedeutung zu. Eine umfangreiche Ausstellung „Gustav Mahler und seine Zeit“ in der Wiener Secession ermöglichte es einem breiten Publikum, Leben, Werk und kulturelles Umfeld von Mahlers Wirken näher kennen zu lernen. Und auch die Aufführungszahlen erfuhren eine beträchtliche Steigerung, ganz im Sinne der von der IGMG angestrebten Verbreitung von Mahlers Schaffen. Für die IGMG von besonderer Bedeutung war die Veröffentlichung des ersten Bandes der Kritischen Gesamtausgabe, der im Verlag Bote & Bock erschienenen Siebten Symphonie, bei der nicht weniger als 800 Korrekturen gegenüber der 1908 erschienenen Erstausgabe vorgenommen wurden. Damit war der Startschuss für eine kontinuierliche Arbeit an der Gesamtausgabe gegeben. In den folgenden vier Jahren erschienen nicht weniger als fünf weitere Bände: die Symphonien 4, 6 und 5, das Adagio der Zehnten Symphonie und das Lied von der Erde.
Die 1960er Jahre brachten auch eine grundlegende Generationenwende: der Tod Bruno Walters (1962), Alma Mahlers (1964) und Theodor W. Adornos (1969) bedeutete eine markante Zäsur, die allerdings dem fortgesetzten Ziel der IGMG, einer öffentlichen Breitenwirkung für Mahlers Schaffen, keinerlei Abbruch tat. Für die Gesamteinspielung der Symphonien Mahlers (1967) wurde Leonard Bernstein mit der Goldenen Mahler-Medaille ausgezeichnet. Auf wissenschaftlichem Gebiet wurde mit der 1969 erschienenen Studie Kurt Blaukopfs Gustav Mahler oder der Zeitgenosse der Zukunft bedeutendes Neuland betreten.