Neue Kritische Gesamtausgabe der Werke Gustav Mahlers

Die Neue Kritische Gesamtausgabe (NKG) der Werke Gustav Mahlers wird von der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Musikverlagen vorgelegt, wobei in der Regel jene Verlage beteiligt sind, die vor dem Ablauf der Schutzfrist das Copyright auf das betreffende Werk besaßen. Ziel dieser Neuen Kritischen Gesamtausgabe ist die Bereitstellung von wissenschaftlichen, philologisch erarbeiteten Editionen sowohl für die musikalische Praxis als auch für die historische und analytische Forschung. Dabei werden die Quellen geordnet, verglichen und bewertet, um die Hauptquelle als Editionsgrundlage für das jeweilige Werk festzulegen und die korrigierende bzw. ergänzende Rolle der übrigen Quellen zu definieren.

Die Ausrichtung auf die Praxis sowie Besonderheiten der Quellensituation bei Mahler haben zu der Entscheidung geführt, keine Korrekturlisten über sämtliche Abweichungen aller Quellen untereinander im Kritischen Bericht anzuführen: Den Benutzer*innen wäre damit kaum gedient. Die Einzelanmerkungen, in denen eine sorgsame Auswahl an Mitteilenswertem vorgenommen, aufgelistet und kommentiert wird, sollen vielmehr jene editorischen Entscheidungen transparent machen, die eine besondere Begründung erfordern. Ergänzt werden die Begleittexte durch Informationen zur Werkentstehung, zur Drucklegung und zur Aufführungsgeschichte sowie durch Kapitel über editorische Besonderheiten des jeweiligen Bandes und Anmerkungen zur Aufführungspraxis.

Der Inhalt der Gesamtausgabe besteht im Kern aus allen Werken Mahlers, die der Komponist selbst zur Drucklegung bestimmt hat. Dazu tritt ein Supplement, das Frühfassungen (etwa die dreisätzige Erstfassung von Das klagende Lied), Fragmente (z. B. den „Klavierquartettsatz“), aber auch Mahlers eigenständige Klavierfassung von Das Lied von der Erde umfasst.

Mahler hat zeitlebens seine eigenen Werke aufgeführt und dabei Revisionen vorgenommen. Diese Revisionstätigkeit betrifft zumeist das Präzisieren der Formulierungen und die Verfeinerung der Instrumentation und ist ein steter Begleiter von Mahlers Kompositionstätigkeit. Sie ist gelegentlich schon in den Skizzen erkennbar, findet sich auch in Particellen und Partiturentwürfen, sodann massiv bei der Überarbeitung der Stichvorlage und zieht sich durch die Drucklegung und die Aufführungsmaterialien, wobei Mahler bis zu seinem Tod auch an früheren Werken Revisionen vornahm. Mahlers Revisionen unterscheiden zumeist zwischen Änderungen, die anlässlich einer bestimmten Aufführung nötig geworden waren, und solchen, die er für künftige Fassungen konservieren wollte.

Mahler hat mehrmals geäußert, dass für ihn nur der jeweils letzte Stand eines Werkes Gültigkeit besitze. Daher war es von Anfang an die Absicht der Gesamtausgabe, zu versuchen, diesen Willen Mahlers jeweils als die eine „Fassung letzter Hand“ vorzulegen. Darüber hinaus verdienen jedoch in einigen Fällen auch Frühfassungen von Werken Beachtung: Sie gestatten erhellende Blicke in die Komponistenwerkstatt und stoßen in zunehmendem Maß auch auf das Interesse von Interpret*innen und Publikum. In jedem Fall jedoch werden in der Neuen Kritischen Gesamtausgabe Fassungen streng getrennt und Mischfassungen vermieden; das gilt auch für jene Lieder, die in Klavier- und Orchesterfassungen vorliegen.

Die Neue Kritische Gesamtausgabe (NKG) unterscheidet sich von der bisherigen zwischen 1960 und 2004 erschienenen Kritischen Gesamtausgabe (KGA) zunächst dadurch, dass die musikalischen Texte neu hergestellt werden, anstatt, wie früher, die alten Stichbilder zu übernehmen und lediglich auszubessern. Da in allen Fällen auch Aufführungsmaterialien vorgelegt werden (Orchesterstimmen, Chorpartituren, Klavierauszüge), ist durch diese Neuherstellung eine Übereinstimmung zwischen Partitur und Aufführungsmaterialien gewährleistet. Der zweite Unterschied ist die oben beschriebene Einbindung ausführlicher Begleittexte (Vorwort, Kritischer Bericht, Einzelanmerkungen und anderes). Schließlich erscheint die NKG in dem schon zu Mahlers Zeiten üblichen größeren Quartformat. Die bessere Lesbarkeit ermöglicht es, die Bände auch als Dirigierpartituren zu verwenden.

Band V des Supplements der NKG, Titan GMW 11,2, eine frühe Fassung der Ersten Symphonie, herausgegeben 2019 von Stephen Hefling, erhielt 2020 in den Deutschen Musikeditionspreis BEST EDITION. In der Begründung würdigte die Jury des Deutschen Musikverleger-Verbands (DMV) die editorische Leistung: „Die Ausgabe ist gestalterisch bescheiden und gleichzeitig wunderschön. [...] Auch für die Tonsatzseiten ein großes Lob: Viele Originalanmerkungen von Mahler wurden in den sehr sauberen Tonsatz der Partitur übernommen, sodass man der Intention Mahlers sehr nahe kommt.“ 2023 erhielt der Ende 2021 erschienene NKG-Band der Vierten Symphonie GMW 37, herausgegeben von Renate Stark-Voit, dieselbe Auszeichung. Die Jury beschrieb den Band als „eine wissenschaftliche Edition, die mit wunderschönen, die zweispaltige Gestaltung aufbrechenden Faksimileabbildungen, einem englischen Glossar sowie einem ausführlichen Vorwort zu Entstehung, Aufführungsgeschichte, Drucklegung und Hinweisen zur Aufführungspraxis keinen Wunsch offenlässt.“

Editionsplan

Verzeichnis