Gustav Mahler
Gustav Mahler zählt heute zu den meistaufgeführten Komponisten im internationalen Konzertleben. Diese Situation gibt vor dem Hintergrund einer nun mehr als hundertjährigen Interpretationsgeschichte Anlass für eine umfassende Bestandaufnahme unterschiedlicher Zugänge zu Mahlers Werk, vor allem auch im Dialog mit aktuellen innovativen Forschungsansätzen, etwa der intensiven Auseinandersetzung mit der Interpretationsanalyse seiner Werke. Komponieren und Dirigieren waren für Mahler untrennbar miteinander verbunden und haben vor allem in seinen Sinfonien zu zahlreichen Modifikationen und Präzisierungen im Notentext geführt, die den jeweils aktuellen Stand seiner klanglichen Vorstellungen repräsentieren. Diese zu analysieren und zu gewichten ist eine der wesentlichen Aufgaben der Neuen Kritischen Gesamtausgabe (NKG), die eine zentrale Rolle im Aufgabenbereich der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft spielt.
Gustav Mahlers Œuvre ist heute fest im Zentrum des Musiklebens verankert, wenngleich es sich keineswegs rasch durchgesetzt hat. Noch in den 1950er Jahren (nach der Ausgrenzung von Mahlers Werken aus dem Musikleben der NS-Zeit) wurde die Rezeption durch ästhetische Vorbehalte behindert. Kaum vorauszuahnen war die bemerkenswerte Renaissance seines Schaffens seit den 1960er Jahren, welche Mahler – so wie er es selbst prognostiziert hat – rasch zu einem der bis heute meist aufgeführten Komponisten werden ließ.
Nicht nur die Anzahl an Konzertdarbietungen, Rundfunksendungen und Tonträgerproduktionen der Musik Mahlers ist seither geradezu explosionsartig angestiegen, sondern auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seiner Biographie und seinem Werk. Eine besondere Bedeutung nimmt dabei seit 1960 die Kritische Gesamtausgabe (KGA) und seit 2008 die Neue Kritische Gesamtausgabe (NKG) ein. Die Edition von Mahlers Werken auf wissenschaftlich neuestem Stand der philologischen Forschung zählt zu den zentralen Aufgabengebieten der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft (IGMG).
Außerdem werden in regelmäßiger Abfolge in den Nachrichten zur Mahler-Forschung (NMF), die in deutscher und englischer Sprache erscheinen, neueste Forschungsresultate und unbekannte Quellen publiziert. Neben der Auseinandersetzung mit Mahlers Werken bildet dabei auch die Erforschung seiner Biographie, insbesondere seiner Tätigkeit als Dirigent sowie als Direktor der Wiener Hofoper (1897–1907), einen Schwerpunkt.
Ein jüngstes Projekt der Gesellschaft ist seit dem Jahr 2021 das umfangreiche Projekt Mahler online, das die IGMG in Kooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaft und dem Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck entwickelt hat. Durch die engen Vernetzung von Werkverzeichnis, Quellenverzeichnis, Informationen zu Entstehungsgeschichte, Werkcharakteristik, Rezeptions- und Interpretationsgeschichte und Bibliographie werden auf diesem Forschungsportal Mahlers künstlerische Aktivitäten, die Orte seines Wirkens und die historische Entfaltung seiner Werke eingehend beleuchtet.
Mahlers Symphonien und Lieder sind auf vielfache Weise miteinander vernetzt und bilden somit einen neuartigen Gattungstypus sui generis. Dies geht so weit, dass in seiner „Symphonie für Alt- und Tenorstimme und großes Orchester“ Das Lied von der Erde (1908) Gattungsgrenzen explizit gesprengt werden. Die gattungsübergreifende Relevanz von Mahlers Komponieren zeigt sich aber bereits in frühen Werken. So gibt es etwa zwischen dem dritten Satz der Ersten Symphonie GMW 11 (1884–88), dem ersten Teil (Waldmärchen) aus Das Klagende Lied GMW 1 (1878–80) und dem Lied Die zwei blauen Augen aus den Liedern eines fahrenden Gesellen GMW 10-K (ca. 1885–90) deutliche Bezugsfelder.
So wird erkennbar, welch wichtige Funktion innovative digitale Methoden (wie die mit Mahler online zu realisierende) für die weitere Forschung und Beschäftigung mit Mahlers Werken haben. Ein digitales Forschungsportal bietet die Möglichkeit, neue Erkenntnisse und Zusammenhänge darzustellen, sie leicht zugänglich und somit für den aktuellen Forschungsdiskurs fruchtbar zu machen. Durch die Synergie zwischen Mahler online und dem Grazer Forschungsprojekt Multiple Dimensions in Performances of Mahler’s Symphonies werden schließlich auch neue Dimensionen der Mahler-Interpretationsforschung akzentuiert.